Autofreie Innenstadt

Der Stellenwert des Autos in den Städten ändert sich. Viele Kommunen legen in ihren Mobilitätsplänen nicht mehr den Schwerpunkt auf die Förderung des Autos, sondern führen eine autofreie Politik ein. Der Ansatz dieser Kommunen konzentriert sich auf Ziele des Gemeinwohls, wie Zugänglichkeit, Lebensqualität, Sicherheit und Gesundheit.
Die Kommunen verfolgen eine autofreie Politik aus verschiedenen Gründen. Oft geht es darum, die Qualität des Lebensumfelds zu verbessern, das Zufußgehen und Radfahren zu fördern, die Verkehrssicherheit zu erhöhen und die Mobilität nachhaltiger zu gestalten. Ein weiterer Grund ist die Freigabe von Flächen für andere städtische Funktionen wie Grünflächen oder Wohnraum.
Quelle: Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft

Klimaschutz durch autofreie Innenstädte


Im Rahmen des Klimaschutzes steht in der ersten Etappe das Erreichen der Klimaneutralität im Fokus. Zur Erreichung der Ziele, kann der Verkehr eine wesentliche Rolle spielen. Somit liegt es nahe, auch die Option „autofreier Innenstädte“ zu prüfen.
Um sich dem Thema mit handfesten Zahlen zu untermauern, hat das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam eine repräsentative Studie mit rund 2.000 Kund:innen und 145 Händler:innen in Berlin angefertigt.
Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie stelle ich Ihnen im Folgenden vor:
93 % der Kund:innen haben die Innenstadt nicht mit dem Auto erreicht, sondern mit dem Rad, zu Fuß oder den öffentlichen Verkehrsmitteln. Also lediglich 7 % der Kund:innen haben die Innenstadt mit dem Auto erreicht. Allerdings haben die Autofahrer und Autofahrerinnen auch lediglich 9 % an Umsatz getätigt, während 91 % des Umsatzes von denjenigen kam, welche mit Rad, zu Fuß oder den öffentlichen Verkehrsmitteln kamen.
Weitere Studien anderer Innenstädte aus Gera, Erfurt oder Leipzig bestätigen diese Ergebnisse. Auch hier haben lediglich rund 7 % der Kund:innen die Innenstadt mit dem Auto erreicht. Der Wohnort der Kund:innen ist überraschend nah, denn im Durchschnitt wohnten 51 % der Befragten (> 1.000) in einem Radius von 3 km von der Einkaufsstraße entfernt.
Mit dem neuen Flair einer autofreien Innenstadt entstanden rund 30 % mehr Geschäfte. Diese zogen mehr Kundschaft an und für einen Mehrumsatz im Einzelhandel.
Quelle: Christine Mengelée, Head of Nonfood, REWE-Center

Parkplätze in Innenstädten: Autos sind gar nicht so wichtig für den Einzelhandel


Nun will die FDP genau so eine Brötchentaste zur Norm machen, am liebsten bundesweit. Das Präsidium der Partei verabschiedete diese Woche einen Beschluss, wie der Einzelhandel gestärkt werden soll. "Eine autofeindliche, ideologische Verkehrspolitik ist schädlich und auch klimapolitisch kontraproduktiv", heißt es in dem Papier. Kundinnen und Kunden, die auf das Auto angewiesen seien, müssten die Möglichkeit haben, schnell in die Zentren zu kommen und nahegelegene Parkplätze zu finden. Neben der Brötchentaste fordert die Partei, das Halten im eingeschränkten Halteverbot von drei auf fünf Minuten auszuweiten.

Die FDP begründet den Vorstoß mit zunehmendem Druck auf viele Einzelhändler, der durch "eine ideologische Verkehrspolitik" noch verstärkt würde. Viele Gewerbetreibende, so heißt es weiter, "sehen keine Zukunft mehr für ihre Geschäfte".

Diese Einschätzung bezeichnet Stadtplaner Rolf Monheim als absurde Wahrnehmungsverzerrung. "Was sie vermuten, was Autofahrer wollen, unterscheidet sich deutlich von dem, was Autofahrer tatsächlich wollen", sagt Monheim, der jahrzehntelang zu Stadtgeografie geforscht hat. Sein Fazit nach all den Jahren: Die Innenstadt lebt nicht vom Verkauf von Brötchen. Das Gegenteil ist der Fall. Die für den Handel besonders interessanten Shoppingbesucher laufen gerne weit.
Quelle: aus „Die Zeit“ vom 13. Mai 2023 

Groningen: "Welthauptstadt des Radfahrens"

Das niederländische Groningen wurde schon als "Welthauptstadt des Radfahrens" bezeichnet. Hier ist etwas erreicht worden, von dem Fahrrad-Begeisterte in Deutschland nur träumen können: Rund 60 Prozent des Verkehrs wird mit dem Fahrrad abgewickelt. Das Ziel der Stadt ist, dass 75 Prozent der Radfahrer in Groningen der Fahrrad-Infrastruktur acht von zehn Punkten geben, meint Jaap Valkema, der bei der Stadt für den Radverkehr zuständig ist: "Wir glauben, umso zufriedener die Fahrradfahrer sind, desto mehr fahren künftig mit dem Fahrrad."
Der Vater des Erfolges in Groningen: Max van den Berg.
Eingeleitet hatte den Trend zum Radverkehr in den 70er-Jahren der Lokalpolitiker Max van den Berg. Er war erst 24 Jahre alt, als er gegen alle Widerstände dafür sorgte, dass Autos in der Innenstadt von Groningen nur noch eine Nebenrolle spielen. "Damals waren sehr viele Menschen für das Auto", erzählt van den Berg. "Und die Ladenbesitzer waren auch sehr ängstlich, ob das alles klappt. Heute möchte es keiner mehr ändern. Auch die, die damals dagegen waren, nicht.“
Video Clip

"Dem Handel sind Brieftaschen wichtiger als besetzte Parkplätze"

Verkehrsforscher Dr. Harald Frey erklärt, warum das Konzept der autofreien Innenstadt eine Chance sein kann.
Wenn eine Person bereit ist, mit dem Fahrrad in die Stadt zu fahren, es aber an sicheren und attraktiven Radwegen oder Abstellanlagen für den Radverkehr fehlt, wird er wieder das Auto wählen. Auch hier geht es um Flächeneffizienz. Dort, wo heute noch ein Auto parkt, können bei einer Umwidmung bis zu zehn Fahrräder Platz finden. Autofahrer:innen dürften allerdings Sturm laufen, sollten sie nicht mehr zum Einkaufen in die Citys kommen.
Aber diese Gruppe ist heute schon deutlich in der Minderheit. Der Anteil der Personen, der mit dem Auto in die Innenstadt fährt, liegt in Städten wie Berlin, Dresden, Wien oder Zürich nur noch im einstelligen Prozentbereich. Die Einzelhändler hören aber häufig Beschwerden von Leuten, die ihren Pkw nicht direkt vor der Ladentür abstellen können. Seltener echauffiert sich ein Kunde oder eine Kundin, weil der Gehweg zu schmal oder der Fahrradweg zu holprig ist. Und so werden Probleme größer gemacht, als sie in der Realität sind. Es braucht eine rationale Sicht auf das Thema.
Quelle: aus stores + shops, Das Handelsmagazin des EHI



Forscher Andreas Knie kritisiert ÖPNV-Blindflug bei der Verkehrswende

Um die Klimaziele zu erreichen, muss der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) nach Meinung von Experten erheblich ausgebaut werden. Doch selbst wenn mehr Busse fahren, werden sie nicht automatisch benutzt.
Wie steht es um den ÖPNV im Norden? Eine NDR Datenrecherche zeigt, dass die Ausgaben - je nach Kreis - deutlich variieren.
Wenn wir jetzt uns vor Augen führen, der Verkehrssektor steht vor der immensen Herausforderung in wenigen Jahren bis 2030 den Treibhausgasausstoß fast halbieren zu müssen, um das Bundesklimaschutzgesetz einzuhalten. Wie kann der Verkehr im ländlichen Raum in diesem Zusammenhang einen Beitrag leisten?
Knie: Also wir müssen einfach mal anerkennen, dass wir in einer Automobilgesellschaft leben. Und das ist auf dem Land noch mehr der Fall als in der Stadt. Wir sind in ländlichen Räumen wie Niedersachsen in manchen Kreisen bei 700 Autos pro 1000 Einwohner. Das heißt, statistisch gesehen hat jeder Fahrfähige mehr als zwei Autos zur Verfügung. Diese Menschen steigen nicht einfach in den Bus, wenn wir mehr Busse einsetzen würden. Das heißt, wir müssen uns generell darüber Gedanken machen, ob der Nahverkehr überhaupt noch mit Bussen und Bahnen zu betreiben ist oder ob wir nicht andere Möglichkeiten brauchen, den CO2-Ausstoß zu minimieren.
Allgemein ist doch immer die Rede davon, dass auf dem Land zu wenige Busse fahren. Stimmt das nicht?
Knie: Das ist genau die große Illusion, die wir in Deutschland haben. Da fahren bisher fünf Busse und jetzt gehen alle davon aus: Lassen wir doch sieben Busse fahren und wenn wir besser sein wollen, dann machen wir die elektrisch. Das hilft nichts. Auch der Bus, wenn er mal kommt und auch elektrisch ist, wird keine Fahrgäste befördern, weil diese Fahrgäste mit ihrem Leben ganz woanders sind. Wir brauchen also ein Angebot, was die Menschen von der Tür abholt und dorthin fährt, wo sie hin wollen. Das muss natürlich so sein, dass man dort Personen bündelt, also nicht jeden Einzelnen abholt. Das sind eben diese mittlerweile sehr populären On-Demand-Verkehre. Da kommt wirklich ein Auto. Wenn da schon zwei, drei Leute sitzen, da kommt noch ein Vierter und ein Fünfter dazu und dann fahren eben fünf Menschen in einem Auto, statt fünf Menschen in fünf Autos.
Das klingt sehr teuer. Wie soll das finanziert werden?
Knie: Na ja, teuer ist ja relativ. Also der Bus kostet ja auch jede Menge Geld. Also wir gehen davon aus, dass ein Kilometer in einem klassischen konventionellen Dieselautos etwa 3,50 Euro kostet. Also inklusive der Systemkosten. Das Taxi, was wir alle kennen, kostet aber nur 2,90 Euro. Das heißt also, die Subventionierung des Taxis auf einen ÖPNV-Tarif wäre sogar deutlich billiger als den Bus umherfahren zu lassen. Man lügt sich da immer in die Tasche, wenn man glaubt. Der Bus transportiert doch so viele Menschen, der kann auch 60, 70, 80 Menschen transportieren. Aber die tatsächlichen Auslastungszahlen, die wir kennen, zeigen, das tut er nicht. Und deshalb ist die Subventionierung des Dieselbusses im Moment viel, viel teurer als praktisch die Parole auszugeben: Fahrt doch alle Taxi!
Sie sagen also im ländlichen Raum sollen die Menschen Taxi fahren?
Knie: Ja. Denn mit Bussen und Bahnen werden wir die Leute nicht mehr erreichen. Im Moment fahren nur die Leute mit, die keine Alternative haben. Das sind die Schüler und Auszubildenden oder die Menschen, die keinen Führerschein haben. Das heißt also, wenn wir eine Verkehrswende haben wollen, wenn wir also die Leute aus ihren eigenen Autos herausbringen wollen, dann geht das nur durch das bessere Auto. Und das heißt, ich werde wie in meinem eigenen Auto dann abgeholt, wenn ich das möchte. Das ist der attraktive ÖPNV von morgen. Und der muss natürlich dann am Ende irgendwo ankommen, das heißt an einem großen Busbahnhof oder Bahnhof. Von da kann ich dann vielleicht zum nächsten Bahnhof fahren. Dann kann ich mit großen Gefäßen unterwegs sein.
Haben wir denn genug Taxis?
Knie: Stand heute hätten wir das nicht. Aber wenn der Bedarf groß ist, gehe ich davon aus, dass natürlich auch wieder mehr Taxen unterwegs sein werden.
Haben wir genug Fahrer für Taxen?
Knie: Das hängt tatsächlich von der Bezahlung ab. Wenn die Bezahlung besser wird, dann haben wir auch genug Fahrer. Aber wir leben auch da in einer Übergangsform. Wir werden in wenigen Jahren schon erleben, dass Teile dieses ländlichen Raums dann auch von Autos bedient werden, die gar keine Fahrer mehr haben. Also das berühmt berüchtigte Roboter-Taxi, was in den USA und in China schon wirklich alltägliche Fahrten macht. Das wird natürlich auch sehr schnell und zügiger als uns möglicherweise lieb ist dann auch in Deutschland eingeführt.
Wo sollten denn Ihrer Meinung nach noch Busse fahren?
Knie: Und da empfehlen wir ausschließlich, sich auf den Schülerverkehr zu konzentrieren. Das sind noch die Zwangsverkehre, die müssen noch morgens an die Haltestelle und werden dann auch von der Schule wieder an die Haltestelle zurückgebracht. Der Rest muss flexibel organisiert sein.
Quelle: Panorama 3 | 21.03.2023 | 21:15 Uhr